Grenzgänge
Ernst Ammann
Vortrag an einer Tagung in Basel
Ernst Ammann
Vortrag an einer Tagung in Basel
«Was man nicht erfliegen kann
muss man erhinken... « Grenzüberschreitungen und -übergriffe sind bei den derzeit gängigen Therapieformen, gerade auf dem Gebiet der Psychosomatik, üblich, so dass angenommen werden muss, dass die schwer aushaltbare Kränkung, an die Grenzen des Verstehens und des Wissens zu stossen, dafür Gevatter steht. «Was man nicht erfliegen kann, muss man erhinken... ». Wenn ich meinen Ausführungen dieses mittlerweile abgegriffene Zitat von FREUD voranstelle, so deshalb, weil es zu sogenannten psychosomatischen Ereignissen die uns in der Praxis begegnen, wie wohl kaum ein anderes zutrifft. Ich hinke sehr und ich denke nicht, dass ich damit ein Ziel erreichen kann, aber ich hoffe, das verweise nicht nur auf meine eigene Beschränktheit und habe auch mit dem Thema zu tun. Vielleicht vermag meine Arbeit einige Spuren zu hinterlassen, Fragen zu stellen, Anregung zu geben. Fragen mögen vonnöten sein, denn m.E. sind auf dem Gebiet der Psychosomatik zuviele davon übergangen oder nicht gestellt worden. Die Frage nach dem Subjekt des Psychosomatikers Psychosomatikpatienten sprechen nicht oder kaum über Phantasien. Vor allem, wenn sie über ihre somatische Erkrankung reden, gebrauchen sie entlehnte Termini - aus der Anatomie, zitathafte Beschreibungen, ihrem Arzt abgehorcht, entlegene Bilder. Ihr Reden erscheint sekundärprozesshaft, weil frei flottierende Vorstellungen, Phantasien nicht aufscheinen. Nichts verweist darauf, dass die somatische Erkrankung ein eigentliches, d.h. sprachliches Symptom sei. Dieses Fehlen lässt den Schluss zu, dass sich Psychosomatikpatienten mit ihrem Leiden nicht in der Viererstruktur des borromäischen Knotens situieren wie Neurotiker und Perverse, sondern in der Dreierstruktur. In der Viererstruktur gibt das Symptom den Registern des Realen, Imaginären und Symbolischen Konsistenz; der Wegfall des Symptoms beim Psychosomatiker vereinzelt aber die Register nicht, sondern führt zur elementaren Trinität des borromäischen Knotens zurück. In jedem banalen Aussagesatz findet sich diese Trinität: Die Kette des Symbolischen (S) verknüpft sich mit Vorstellungen (I), die sich wiederum auf etwas Reales (R) beziehen. Wo steckt das Subjekt in solchen Aussagen? Es verschwindet in der Sachhaltigkeit der Aussage selbst, so wie der Wissenschaftler hinter seinen Resultaten verschwindet. Anders gesagt: Das Subjekt wird sich darin nicht fraglich, es kann vom Wetter, von objektiven Sachverhalten sprechen; es setzt sich darin nicht als ein in Frage stehendes. Von daher die Mühe in der therapeutischen Arbeit mit Psychosomatikern. In solchen Aussagen gibt es nicht das Aussagen als Akt, als Leere, als Überhang über das Ausgesagte, das Subjekt nimmt sich entweder als sprechendes nicht wahr oder will nichts von sich wissen. Es ist in einer Welt von Möbelstücken, von Sachen. Auch die Krankheiten erscheinen dem Psychosomatiker nicht als Produktionen seiner Subjektivität, sondern als Naturereignisse, die mit ihm so wenig zu tun haben wie das Wetter des nächsten Tages. Die Krankheiten lassen sich dementsprechend so beschreiben, wie sich beliebige Geschehnisse beschreiben lassen. In gewissem Sinne wäre das eine harmonische Welt, wo alles was nicht aufgeht, eliminiert wäre, gäbe es da nicht Störungen im Körper, für deren Reparatur die Ärzte für zuständig erklärt werden. Das Affektive fehlt darin ebenso wie das Böse, der Hass, auch die Liebe, es ist eine Welt, in der bestenfalls alles funktioniert. Die Frage nach dem Unterschied von Psychosomatik und Psychose Zu dieser Frage zunächst ein Beispiel: Ein junger Mann mit einer vermuteten perversen Struktur gerät im Verlauf der Analyse in eine psychotische Krise. Einige Zeit davor hatte er einen Skiunfall bei dem er nach einem Sonnenbad kopfüber in den kalten Schnee gestürzt war. Diese Abkühlung um 40º C innert Sekundenbruchteilen hätte seinen Krisenzustand ausgelöst. Dieses gewaltige körperlich/physikalische Ereignis sei der Grund für seine entgleiste Verfassung. Er sei an seinem Körper psychisch krank geworden, behauptete er und behandelte seinen lädierten Körper als greifbare reale Ursache dafür, an der er festhielt wie an einem kostbaren Gut. Nach einiger Zeit erzählte er wie beiläufig von einem Erlebnis, das kurze Zeit nach dem Unfall und unmittelbar vor der psychotischen Krise stattgefunden hatte: Er hatte seine Freundin im Ausland besucht und ihre Untreue befürchtet, wenn ihr sexuelles Begehren zu lange ungestillt geblieben wäre. Vor seiner Rückreise habe er es ihr nochmals tüchtig besorgt, als sie ihn plötzlich gefragt habe: hast du’s bald? Das sei wie ein Schock für ihn gewesen. Wahrhaftig eine Abkühlung in Sekundenbruchteilen! «Es geht um dein Geniessen, um dein Begehren - nicht um meines!» Dies war es, was die Frau ihm mitgeteilt hatte. Da ging etwas verloren, wurde seine Kastration angesprochen, gedeutet. In der Folge setzte er seinen Körper dazu ein, die Fülle, die Unkastriertheit wiederherzustellen oder sicherzustellen. Er flüchtete sich an den Ort eines somatischen Ereignisses, wo die Sprache abwesend, ausgegrenzt ist. Dort fehlte der Mangel, besser: nichts fehlte und darum war dieser Ort ein Ort der Fülle - nicht der Über-Fülle, sondern schlichter Fülle. Die Reduktion auf den Körper machte das Subjekt abwesend - eine Operation, in der es sich gleichsam zum Verschwinden brachte. Diese psychotische Lösung ist zunächst insofern schwierig von der psychosomatischen zu unterscheiden, als beide anscheinend das Subjekt verschwinden lassen. Beim Psychosomatiker bleibt aber das Symbolische intakt, das Subjekt nimmt sich als ein leeres zurück, geht auf in der Aussage. Dagegen nimmt der Psychotiker nicht das Symptom zurück, den leeren Überhang, der den Neurotiker zu Metaphorisierungen veranlasst, sondern das Symbolische selbst. Wenn es Symbolisches für ihn gibt, dann als reduziertes, als an den Dingen angeklebtes. Der eben erwähnte Patient wollte sich auf den Körper reduzieren, die relative Autonomie des Symbolischen, in der er dem Mangel begegnen würde, abschaffen. Betrachten wir dieses Aufeinandertreffen von Körper und Sprache etwas näher: Lacan spricht davon, dass die Sprache auf den Körper anzweigt 2. Das impliziert kein Kontinuum von Körper zu Sprache. Will der Psychosomatiker ein solches Kontinuum herstellen? Oder ist er dieses? Zu vermuten ist, dass er in diese Lücke fällt! Trifft dies zu, wäre er mit dem (reduzierten) Imaginären identifiziert, mit dem Zwischenbereich zwischen dem Realen und dem Symbolischen. Seine Existenz wäre dann dafür besorgt, dass kein leerer Überhang des Symbolischen aufkäme; das Symbolische müsste solcherart dem Imaginären unterworfen werden, dieses wiederum dem Realen kompatibel sein. In der therapeutischen Beziehung will - dem Begehren des Analytikers gemäss - gerade das Umgekehrte erreicht werden: das Imaginäre der Leere des Subjekts zu unterstellen, damit die Produktion von Phantasmen und Symptomen in Gang kommt, damit das Reale sein Pseudo-Sein, das Sein des Nicht-Seins erkennbar werden lässt. Die im Realen angenommene Verankerung der Krankheit 3) ist gleichbedeutend mit einem Entzug des ödipalen Kontextes, genauer gesagt: mit einem Verbleiben im Manifesten, das sich im Geschehen auf der Couch in einem corps à corps zeigt, wie André Michels 3) es nennt. Die reale Kastration wird als Strafe für den Inzest aufgefasst, damit wird die (symbolische) Kastration als Deutung vermieden. Mit der vermeintlichen realen Kastration kann jetzt gehandelt und operiert werden, weil das ursprüngliche Gesetz, herrührend vom Gesetz der symbolischen Ordnung, ausser Kraft gesetzt wird oder gar nie gesetzt worden ist. Es bietet sich solchen Patienten an, dass sie sich in die Position des Opfers stellen, sogar eher noch: dass sie das Opfer sind, das zu opfernde Objekt, das sich somit an den Opfernden wendet und nicht an einen andern Adressaten. So wird in diesem corps à corps ein möglicher Dritter suspendiert. Wünsche verkommen zu blossen Ansprüchen, die Beziehung zum Analytiker wird nicht metaphorisiert. Die Frage nach dem (psychischen) Umgang mit somatischen Ereignissen Auch diese Frage möchte ich anhand eines Fallbeispieles erörtern, das für sich selber spricht: Eine Analysantin litt, wie sich im Verlauf der Kur herausstellte, unter ihrer Kinderlosigkeit. Mit 26 Jahren hatte sie eine Sterilisation verlangt; sie sei so gestört gewesen und habe befürchtet, gleich wie ihre Mutter zu werden, dass sie beschlossen habe, keine Kinder zu bekommen. Sie habe einen Arzt gefunden, der zur Operation bereit war. Seit dieser Zeit habe sie fast permanent an verschiedensten somatischen Krankheiten zu leiden begonnen, vorwiegend im Unterleib, im Genitalbereich, d.h. an schmerzhaften, meist nicht infektiösen Entzündungen, an Myomen, die jeweils Hormongaben und Operationsdrohungen zur Folge gehabt hätten. Als sie etwa 40-jährig war, begann sie eine Therapie (die dritte), wegen Schwierigkeiten mit den vorwiegend männlichen Kollegen am Arbeitsplatz, wegen ihren körperlichen Leiden, die psychosomatisch seien und weil sie immer depressiver geworden sei. In der Analyse dominierte oft weitgehend der Anspruch. Sie forderte mich auf, ihr zu glauben und mit ihr die Eltern, vor allem die quälende und gewalttätige Mutter, zu verurteilen, auch dass ihre Sicht als Realität verifizierte würde. Machte ich nicht mit, war ich in ihren Augen sadistisch und genoss es, sie zu quälen - nicht wie ihre Mutter, sondern als diese. Die Mutter habe sie verachtet, weil sie eine Frau sei, der Bruder aber sei vergöttert worden. Sie müsste tot sein. Immer wieder redete sie von Leere, da wo sie wäre, wo sie sich artikulieren müsste, wo sie als Frau redete. Häufig nach Sitzungen, in denen ich eine Deutung gewagt hatte, quittierte sie dies in der darauffolgenden Stunde mit wilder Wut, ich wolle sie fertigmachen und sie nur quälen. Als sie (wieder) einmal erzählte, wie sie, damals 24-jährig, mit der Schwiegermutter einen Autounfall erlitten habe, schimpfte sie, wie diese ihr tagelang den Kopf vollgejammert habe über die entstellenden Wunden - sie aber habe nie reden können, dabei hätte sie viel mehr Grund gehabt, zu klagen, ihr Leben sei ja noch vor ihr gelegen - die Schwiegermutter hätte ihres doch hinter sich gehabt. Mit dem entstellten Gesicht wäre sie nicht mehr die gleiche gewesen wie vorher. Die Schwiegermutter aber sei ja 30 Jahre älter gewesen, schon lange verheiratet und vor allem habe sie erwachsene Kinder gehabt. Danach wetterte sie wieder über ältere Frauen und steigerte sich in die Aussage: «Die Eltern haben Angst vor dem Sterben und möchten mich da hineinziehen - dabei bin ich doch an einem ganz andern Ort!» Fügen wir diese Sequenz mit dem Moment zusammen, als sie über Sterilisation sprach, so gelingt es vielleicht, sie in ihrem Zusammenhang zu hören. Was ihr jener Chirurg abgenommen hatte, als er ihrem Anspruch entsprochen und kein Begehren gehört hatte, war die Möglichkeit, schwanger zu werden, ein Kind zu bekommen, aber auch einer Schwangerschaft, einem Kind und vor allem einer Geburt, dem Gebären unterworfen zu werden. Eben diese Ereignisse hatte die Schwiegermutter hinter sich. Sagte die Patientin deshalb, die Schwiegermutter habe ihr Leben hinter sich? Erinnern wir uns der schönen alten Darstellungen in denen die Lebensabschnitte des Menschen von der Geburt bis zum Tod über einen Berg hinweg gezeichnet sind: Am Anfang steht die Wiege - etwas weiter bergaufwärts ein Kind, dann eine junge Frau, eine Braut usw. und am Ende, wieder unten, eine Greisin oder ein Grab. Auf dem Scheitelpunkt, der auch Höhepunkt ist, die Mutter - danach geht’s nur noch bergab, dem Tod entgegen. Diese Lebensabschnitte sind durch Benennungen somatischer Ereignisse begrenzt: Geburt - Menarche - erster Koitus / Ruptur des Hymen - Geburt / Gebären. Zäsuren, die ein Vorher von einem Nachher trennen, eine Zeitlichkeit zeichnen, Zäsuren, denen das Subjekt unterworfen ist, Zeichen der Kastration. Da stossen jeweils ein Akt aus dem Realen mit der Sprache zusammen. Was dadurch geschaffen wird, ist anders als es vorher war, und was vorher war, muss nach dieser Zäsur uminterpretiert werden. Das Subjekt sieht sich dadurch genötigt, sich im buchstäblichen Sinn neu zu organisieren, kann dies aber nur, sofern sich der Sprechakt durchzusetzen vermag (was oft geschehen kann mittels Hilfe von der Gesellschaft angebotener Rituale, Initiationen, etc.). Diese Analysantin behauptete, an einem ganz andern Ort zu sein, einem zeitlosen Ort! Das zeigte sich an ihrem Glauben an unvergängliche Schlankheit, weswegen sie den Neid anderer befürchtete. Sie vergass oder übersprang dabei, dass eine Schwanger-schaft das Immer-Schlanksein einer Frau unterbricht. Auch stellte sie sich vor, dass eine Mutter das Kind - ist es erst einmal geboren - wieder zum Verschwinden bringen möchte. Es durfte für sie nicht sein, dass ein Kind die Macht hat, der Mutter eine Kastration zuzufügen, sie als Subjekt in Frage zu stellen. Hinter diesem Festhalten an der Unkastriertheit, am Verleugnen der Macht des Kindes, stand die Angst vor der Begegnung mit der Weiblichkeit. Diese Analysantin hatte sich immer gewünscht, ein Mann zu sein, weil Mann existiere, Frau nicht - die Geschlechtsdifferenz reduzierte sich auf die Frage nach Dasein oder Nicht-Dasein. Aber war das die letzte Determinante in der Ablehnung der Weiblichkeit? Ich glaube, dass sich ein Neid in sie eingefressen hatte. Er zeigte sich insbesondere in dem Moment, als diese Frau phantasierte, wie es für ihre Mutter wohl gewesen sei, als sie nach der Geburt aus der Klinik gekommen sei, mit einem schreienden Bündel, das die Mutter nicht zu beruhigen vermocht habe. Die Unfähigkeit der Mutter habe sich auch gezeigt, als sie einmal über Blutspenden diskutiert hätten, was die Mutter nie gemacht hätte. «Wie kann man Kinder haben, wenn man nicht einmal Blut spenden kann!» Auch sei die Mutter sehr gefrässig gewesen, da müsse ein Säugling, der ewig Hunger habe, ja rasende Wut auslösen. Die Umstände seien mit der Mutter umgegangen, nicht sie mit den Umständen. Die Patientin sagte weiter, wenn sie Kinder hätte, würde sie sich auch davor fürchten, eigentlich sei da kein Unterschied zwischen ihrer Mutter und ihr. Schliesslich sei ihr noch ihr Geschlecht vorgeworfen worden, wobei sie der Mutter ja denselben Vorwurf auch machen könnte. Was sie schilderte betraf den Körper, betraf Akte in Körperöffnungen oder -höhlungen: Ein Kind wird durch die Geschlechtsöffnung geboren, das Essen verschwindet im Mund, Blut fliesst aus einem Loch in der Haut; diese Löcher lassen sich höchstens notdürftig stopfen, etwa für die Dauer einer Schwangerschaft - aber immer geht etwas verloren dabei, entsteht Verlust. Die Frage nach dem Zusammenhang von Psychosomatik und Akt Das eben erwähnte Beispiel verweist auf die Dimension des Aktes. Slavoj ŽIŽEK sagt vom Akt, dem realen Akt, dass er das Feld der Sprache unterminiere, und dass das Subjekt ihm letztlich radikal unterworfen sei, von ihm eine Antwort fordere, weil es sich in äusserster Form in Frage gestellt erkenne. Nach Jacques-Alain MILLER dem die folgenden Überlegungen entnommen sind, ist jeder wahre Akt ein Selbstmord des Subjekts. Das Subjekt ist vorher und nachher nicht mehr dasselbe. Und bei Lacan - wie auch bei Freud - ist der Akt dem Konzept des Todestriebes zugeordnet; er zielt auf den Kern des Seins, auf das Geniessen. |
Er (der passage à l´acte, E.A.) gibt an, dass man die Zweideutigkeiten des Denkens, des Wortes und der Sprache um den Akt willen verlässt, dass im Akt, wenn man ihn vom passage à l´acte her denkt, sich das Subjekt den, sagen wir, Zweideutigkeiten des Wortes entzieht, sowie jeglicher Dialektik der Anerkennung, es riskiert, den Andern hinter sich zu lassen, und genau von da her ist das, was beim Akt im eigentlichen Sinne auf dem Spiel steht, nicht zahlenmässig ausdrückbar, es ist im Gegenteil ausserhalb des Universums der Schätzungen, der Berechnungen, der Gleichwertigkeiten, des Tausches, es zielt auf das Endgültige, und sagen wir, dass im Kern eines jeden Aktes im eigentliches Sinn der passage à l´acte für uns als Paradigma ist. Im Kern eines jeden Aktes ist ein Nein, das gegen den Anderen hervorgestossen ist. Und mit Freud lässt sich sagen, dass man von dem Augenblick an, wo es Verdrängung gibt, nur noch in dem Element des «ich weiss nicht» denkt - das Wesen des Aktes hingegen ist die Gewissheit. Das Nein gegen den Anderen, das im Kern des Aktes hervorgestossen wird, ist - wie der Todestrieb in Freuds Darstellung - stumm. Dennoch erhält der Akt seine Koordination nur aus der Sprache, aber er tritt immer an die Stelle eines Sagens. Er ist ohne ein Danach, ist an sich - aber er wird durch die nachträgliche Bedeutung wieder eingeholt. Das bedeutet aber nichts anderes, als dass der Akt (aus dem Realen, des Realen) und der Akt des passage à l´acte - an sich und als solche - ein und dasselbe sind. Denn im Moment des Geschehens stösst der Akt dem Subjekt zu, wird nicht gemacht; das Subjekt ist ihm in radikaler Form unterworfen, wird von ihm genichtet. Der Akt ist der Tod des Subjekts. Das Begehren erlöscht. Die Frage nach dem Zusammenhang von Psychosomatik und Akt Das eben erwähnte Beispiel verweist auf die Dimension des Aktes. Slavoj ŽIŽEK sagt vom Akt, dem realen Akt, dass er das Feld der Sprache unterminiere, und dass das Subjekt ihm letztlich radikal unterworfen sei, von ihm eine Antwort fordere, weil es sich in äusserster Form in Frage gestellt erkenne. Nach Jacques-Alain MILLER dem die folgenden Überlegungen entnommen sind, ist jeder wahre Akt ein Selbstmord des Subjekts. Das Subjekt ist vorher und nachher nicht mehr dasselbe. Und bei Lacan - wie auch bei Freud - ist der Akt dem Konzept des Todestriebes zugeordnet; er zielt auf den Kern des Seins, auf das Geniessen. Er (der passage à l´acte, E.A.) gibt an, dass man die Zweideutigkeiten des Denkens, des Wortes und der Sprache um den Akt willen verlässt, dass im Akt, wenn man ihn vom passage à l´acte her denkt, sich das Subjekt den, sagen wir, Zweideutigkeiten des Wortes entzieht, sowie jeglicher Dialektik der Anerkennung, es riskiert, den Andern hinter sich zu lassen, und genau von da her ist das, was beim Akt im eigentlichen Sinne auf dem Spiel steht, nicht zahlenmässig ausdrückbar, es ist im Gegenteil ausserhalb des Universums der Schätzungen, der Berechnungen, der Gleichwertigkeiten, des Tausches, es zielt auf das Endgültige, und sagen wir, dass im Kern eines jeden Aktes im eigentliches Sinn der passage à l´acte für uns als Paradigma ist. Im Kern eines jeden Aktes ist ein Nein, das gegen den Anderen hervorgestossen ist. Und mit Freud lässt sich sagen, dass man von dem Augenblick an, wo es Verdrängung gibt, nur noch in dem Element des «ich weiss nicht» denkt - das Wesen des Aktes hingegen ist die Gewissheit. Das Nein gegen den Anderen, das im Kern des Aktes hervorgestossen wird, ist - wie der Todestrieb in Freuds Darstellung - stumm. Dennoch erhält der Akt seine Koordination nur aus der Sprache, aber er tritt immer an die Stelle eines Sagens. Er ist ohne ein Danach, ist an sich - aber er wird durch die nachträgliche Bedeutung wieder eingeholt. Das bedeutet aber nichts anderes, als dass der Akt (aus dem Realen, des Realen) und der Akt des passage à l´acte - an sich und als solche - ein und dasselbe sind. Denn im Moment des Geschehens stösst der Akt dem Subjekt zu, wird nicht gemacht; das Subjekt ist ihm in radikaler Form unterworfen, wird von ihm genichtet. Der Akt ist der Tod des Subjekts. Das Begehren erlöscht. Welches ist nun der Zusammenhang zwischen dem so verstandenen Akt und dem Psychosomatiker? Da der Psychosomatiker sein durch die Identifizierung mit dem verbalen Signifikanten bedingtes Nicht-Sein nicht artikuliert, ist er vermeintlich im Realen, in der Welt der Dinge, zu der auch die Sprache und die Vorstellungen der Dinge gehören. Es scheint, dass alles gewiss sei; da sich das Subjekt nicht selber in Frage stellt, ist die Welt geschlossen. Eben diesen Zustand strebt auch der Akt an; auch er visiert ein Eintauchen in die Unmittelbarkeit, ein Hinter-sich-Lassen der Vergänglichkeit. Es gibt somit kein Zusammenwirken von Symbolischem und Imaginärem, die sich von der Bindung an äussere Referenzen lösen und Phantasmen und Symptome hervorbringen. Derjenige, der den Akt vollzieht und der Psychosomatiker löschen alles Unwirkliche aus, damit auch den Humor. Der passage à l´acte setzt der Zeit ein Ende. Das Subjekt das danach ein anderes ist, fügt ihn erst nachträglich der Bedeutung ein, so, dass er danach möglicherweise zu einem Trauma oder einem Symptom (z.B. einer heroischen Tat) umgearbeitet wird . Beim Psychosomatiker, der einem (so verstandenen) Akt passiv unterworfen ist, scheitert diese nachträgliche Umarbeitung; der Akt (allerdings als nicht vollständiger, totaler) überdauert als solcher und schreibt eine Zeitlosigkeit fest. Wer einen passage à l´acte begeht, überwindet jede Frage, überwindet die Beschränkung des Geniessens (der jouissance) durch das Symbolische, während sich dem Psychosomatiker diese Frage gar nicht stellt. In einer Analyse ist dieser ‹Teilakt› resistent, der Sprache entzogen. Es sind neurotische Symptome, die nicht von der somatischen Krankheit erzeugt scheinen, denen sich der Psychosomatiker in einer Analyse aussetzt Die Frage nach Aktualneurosen und Psychoneurosen in Ihrem Zusammenhang mit Psychosomatik In Freuds früher Unterscheidung zwischen Psychoneurosen und Aktualneurosen spricht er den Symptomen der letzteren einen symbolischen Ausdruck und eine Überdeter-miniertheit ab, was heisst, dass sie nicht mittels sprachlich bedingter Vorstellungen konstituiert sind, sie hätten «keinen ‹Sinn›». Er spricht ihnen zwar eine symptombildende Wirkung zu (als beschleunigendes Moment), reiht sie später aber den Paraphrenien oder narzisstischen Neurosen (Schizophrenie, Paranoia) zu. Dies unterstreicht vor allem, dass sie ausserhalb der symbolischen Ordnung stehen. Als beschleunigendes Moment wären sie lediglich Anlass zur Bildung neurotischer Symptome, determinierten diese aber nicht. Ähnlich argumentiert er auch bezüglich traumatischer Neurosen, wenngleich er oftmals sich bemüht, einen Unterschied herzustellen. Zwischen seiner Darstellung der Aktualneurosen und der traumatischen Neurosen einerseits, dem psychosomatischem Ereignis und dem Akt in dieser Betrachtung andrerseits, scheint ein ähnliches Verhältnis zu bestehen. Die eigentliche Determinante entziehe sich schlussendlich dem psychoanalytischen Zugang (vergleichbar mit dem Nabel des Traumes), auch wenn verschiedenste aber unspezifische Symptome sich ausbilden könnten, die sich lediglich dieses Kerns bedienten, der übrigens aus dem Dämonischen stamme. Sie seien der Versuch, die übergrosse Reizanflutung - ein Ereignis (den Akt) -, das das Gleichgewicht des Subjekts störe, durch Symptombildung zu binden, was aber eben heisst, der borromäischen Dreierstruktur durch ein Symptom ein viertes Element zuzufügen. So gelesen versteht sich der Wiederholungszwang nicht als Wiederkehr des Verdrängten, sondern als Insistieren des nicht oder ungenügend (oder nicht mehr) Verdrängten, als Einbruch aus dem Realen, dem Dämonischen, als Akt, der des Sekundärvorganges nicht fähig ist. Er ist die Antwort des Subjekts auf seine Infragestellung, sein Versuch, ein Symptom zu bilden: der Todestrieb. Er ist das Echo des Todestriebs im Subjekt. Von daher kann Freud zumindest bezweifeln, dass die Psychoanalyse bezüglich Aktualneurosen (und Psychosomatik) etwas auszurichten vermag. Da ihre Phänomene nicht verbal vermittelt sind, nicht Sprache enthalten, wie entstellt diese auch sein mag, sind sie verbalen Einflüssen unzugänglich, lassen sich weder artikulieren noch vom Andern her ansprechen. Das psychosomatische Phänomen kann darum nicht gedeutet werden - Signifikantendeutungen werden es immer verfehlen. Die Schwierigkeit besteht darin, es «als Kastration zu geben». Auf Grund dieser Situation lässt sich behaupten, dass der Psychosomatikpatient Anspruch auf ein Symptom hat. In der Analyse artikulieren sich Symptome, die an die Stelle des schweigenden somatischen Leidens getreten sind. Schweigt der Analytiker, ist es möglich, dass er immer wieder zum Reden aufgefordert wird (warum sagen sie nichts?) - er soll reden, was hier wohl heisst, seine Stimme als Objekt a zu geben. Verweigert er es, drohen Leere, Auslöschung, Versinken ins Nichts: die Begegnung mit dem Realen, der Leere des Subjekts. Dem Analysanten fehlt etwas, was der andere vermeintlich hat, was alle anderen haben und ihm vorenthalten wird. Er leidet darunter, dass dieses Etwas ihm scheinbar unzugänglich ist. Das Objekt a verkörpert die Leere im grossen Andern, verleiht ihm Gestalt: Wir treffen auf das Objekt da, wo das Wort scheitert. Das Objekt a ist zugleich der reine Mangel, die Leere, um die sich das Begehren dreht und welche als solche das Begehren verursacht, und (es ist ebenso, E.A.) das imaginäre Element, das die Leere verbirgt, [...]indem es sie ausfüllt. Das Füllsel erhält das aufrecht, was es verbirgt. Beim Psychosomatiker aber ist das Objekt a, das phantasmatische Objekt, quasi ein materielles Objekt geblieben. Es ist nie zur Begegnung mit dem Ding gelangt, hat nie dessen Platz eingenommen, um dessen absolute Leere zu verhüllen. Im psychosomatischen Leiden schwindet das Begehren - es ist der Tod(estrieb) des Subjekts. Die Frage ist, wie weit der Psychosomatiker an der Verkennung seiner konstitutiven Leere, der Quelle möglicher Metaphorisierungen, festhält. Muss man als Analytiker nicht sagen, dass Lacans Satz, ... dass es, im Grunde, bequemer ist, das Verbot zu erleiden, als sich der Kastration auszusetzen ganz besonders für den Psychosomatiker gilt? Er hält Autoritäten und Gesetze unbefragt aufrecht, erspart sich damit die Kastration und die Begegnung mit der Abwesenheit des Dings. Gewissermassen kreist er im ödipal Gesetzhaften, verschlossen, ohne Lücken, die Mehrdeutigkeiten zuliessen, durch die aber auch Verlust entstehen würde. Was dem Psychosomatiker ‹fehlt› ist jenes Geniessen, das über das Lustprinzip hinausginge, im Sinne des Todestriebs. Aber an dieser Stelle wird ein Einwand unabweisbar: Wird dieses Geniessen nicht in jedem Fall verfehlt und niemals gewusst? Inwiefern unterscheidet sich der Psychosomatiker diesbezüglich vom Neurotiker? Die Antwort scheint mir auf dem Weg über die Topologie möglich. Das andere Geniessen stellt sich für den Psychosomatiker überhaupt nicht, da die Dreierstruktur eine geschlossene ist. Erst die Passage zur Viererstruktur mit dem Symptom eröffnete die Frage nach dem phallischen und dem Anderen Geniessen, das Lacan der Frau zugeschrieben hat. Eben diese Beschränkung, diese Abdichtung der Welt, in der das Subjekt als Diskontinuität, als Leere verschwunden ist, bildet den Grund für das dem Psychosomatiker eigene Geniessen, das schon ans Ziel gekommen ist, schon perfekt ist, bevor es sich gesucht hat. Obwohl nun der Todestrieb ins Zentrum gerückt ist, lässt sich nicht sagen, dass der Psychosomatiker in seinem Leiden wirklich davon geprägt ist. Wo das Objekt a (als phantasmatisches) fehlt, ist kein Begehren. Das Leiden am Todestrieb setzt die Setzung des Subjekts in seinem Schwinden voraus, die Aphanisis, im Moment, wo sich der Ort des Objekts des Begehrens leert. Er kann sich genaugenommen nur artikulieren, wenn a sich auflöst und das Sprechen um die Leere des Dings kreist. Der Psychosomatiker ist in der misslichen Lage, dass die Täuschung enthüllt ist, bevor sie stattgefunden hat. Darin verharrt gewissermassen das psychosomatische Subjekt, gefriert oder ist gar nie daraus hervorgetreten. In gewissem Sinne kann behauptet werden, dass es den Todestrieb verkörpert - erst durch die eigentliche Kastration wäre es ihm unterstellt. Kein Abschluss Der Fragen sind mehr geworden: Noch gar nichts ist ausgesagt, über die Determinierung des psychosomatischen Leidens. Die Frage nach der Psychosomatik impliziert, dass es sie gäbe, dass Psychisches sich in eigentlich Somatischem niederschlagen könnte. Der analytische Zugang zum Somatischen impliziert den Wunsch (oder sogar den Anspruch) des Analytikers auf das Verstehen eines Jenseits der Sprache. Verleugnet er damit nicht gerade seine Kastration? Verlässt er damit nicht den Platz des Objekt a? Setzt er sich damit nicht eben auf den des grossen Andern? Unbarriert? Und antwortet er damit nicht gerade dem Analysanten in dessen Register? Und verhindert er damit nicht die Erfahrung der Kastration? Was wären die Voraussetzungen, die einem psychosomatisch Leidenden in einer Analyse ein Chance gäben? Ist es möglicherweise allein der Platz, der ihm als sprechendes Subjekt in der Analyse zugesprochen ist? Anmerkungen 1 - 2 - Catherine MILLOT: Das Begehren zu schlafen. Eine Antwort Lacans. Wunderblock Nr.13 3 - André MICHELS: Zur Frage der Transmission. FRAG˙MENTE 39/40 4 - |