Vorbemerkung:
Der Völkerbund beschloss 1931, ‘einen Briefwechsel zwischen den repräsentativen Vertretern des Geisteslebens’ wieder aufzunehmen. Anfang 1933 erschien der Briefwechsel zum Titel ‘Warum Krieg?’, zu dem Albert Einstein an Sigmund Freud schrieb und dieser antwortete. Veröffentlicht wurde das Büchlein in einer Auflage von 2000 numerierten Exemplaren. 2004 erschien ein Heft der Zeitschrift RISS zum selben Thema. [s. Briefwechsel Einstein – Freud] |
[ R S ] – Warum Krieg?
Wie soll denn ein Schweizer über Krieg schreiben können, was kann er als Bewohner eines seit Jahrhunderten von Kriegen verschonten Landes darüber wissen? Sicherlich hat er im Eltern- haus und in der Schule mitbekommen, wie glorreich für seine Vorfahren, den Nach-fahren Tells, jeweilen jene Veranstaltungen meist ausgegangen, die Krieg genannt worden sind – so heldenhaft aber und in ihrem Glanz überhöht, dass sie ihm denn schon bald unglaub- würdig erscheinen mussten. Und obwohl ihm vielleicht seine Eltern erzählt, wie die Väter mit dem Gewehr in der Hand und unter grossen Ent-behrungen Nazideutschland getrotzt und so die Schweiz gerettet hätten – alte und verblichene Fotos mit gekräuselten Rändern, später mal entdeckt, zeigten immer nur gut gelaunte und kumpani-rende und in die trübe Linse grimmassierende Soldaten, denen der Spass an der Sache ins Gesicht geschrieben schien, während die höheren Chargen sich vor der Kamera in Pose gesetzt hatten, stolz erfüllt von ihrer Wichtigkeit und Macht und in ihren Uniformen festgehalten, wie von frischgestärkten Hemden-kragen geschnürte Hälse, die Köpfe festgespiesst. Vielleicht doch wäre in seinen ersten Lebensjahren aufzu-finden, was ein Wissen über Krieg begründete, immerhin war er in jene Zeit hinein geboren, in der Krieg war, zwar nicht in der Schweiz, hingegen rundherum und er lebte in einem Dorf an der Grenze zu Deutschland. Die Schweizer Soldaten, die die Grenze zum Deutschen Reich bewachten, waren da-mals seine Spielgefährten und das Verweilen in ihrer Gegenwart sein liebster Zeitverreib, ihre komisch anmutenden Übungen sahen nach einem eher lustigen Spiel aus, auch wenn´s manchmal krachte – dafür durfte er dann nachher beim Reinigen dieser Apparate helfen, die so gefährlich sein sollten und eben diesen Krach machten. Und auch eine richtig schnittige Blasmusik gab´s ja, die ab und an hinter einer Fahne durch Dorf marschierte und aufspielte, wohl um Freude zu verbreiten. Dass es zwei verschiedene Gattungen von Soldaten gab, lernte er schon früh: die eine war schlecht gekleidet, steckte in Uniformen, deren Grössen-masse selten den passenden Träger gefunden hatten, aus faltigem und rauhem Stoff, war schmutzig, roch meist unangenehm und fremd und war gern laut, die der anderen Gruppe, sie waren deutlich seltener, in feinerem Tuch, trugen Stiefel und steife Hüte mit goldenen Streifen, füllten ihre besser passenden Uniformen oft praller aus und waren überhaupt sauberer. Sie waren es, die schon in seinen ersten Erinnerungen die lebendigen und lachenden Gesichter immer wieder ebneten und ordneten, indem sie sie mit gebellten Worten in Reih und Glied erstarren liessen, immer wieder, bis jede Bewegung erstorben schien, alle gleich und verwechelbar, so lange, bis sie, ebenfalls durch einen knappen und lauten Befehl, erlöst wurden und offensichtlich sehr erleichtert wie wieder mit Atmen fortfuhren. So zumindest wird er sich künftig vorstellen können, wie er gelernt hat, Männer und Herren zu unterscheiden. Dass er nach einiger Zeit seine uniformierten Spielkameraden zu meiden begann und sich von ihnen zurückzog, das mochte andere Gründe haben, jedenfalls aber keine, die mit dem Krieg zu tun hatten, denn der fand ja nicht statt, woanders, doch darüber wusste er nichts. Später, der Krieg war offenbar näher gerückt, aufgeschreckt in der Nacht und von den Eltern aus dem Bett geholt und in den Keller gebracht, wo sich auch die übrigen Bewohner des Miet-hauses eingefunden, während draussen Sirenen die Nacht zerschnitten und hoch am Himmel unsichtbar und fern dröhnende Motoren die unheimliche Stille verstärkten, in der das Flüstern der Erwachsenen sich verlor, auch da ergaben sich keine Aufschlüsse darüber, was mit diesem vielgehörten und dennoch unbekannten Wort denn nur gemeint sein könnte. Ein paar Mal ferne Explosionen, gar schrecklich nahe, als zurück-fliegende und beschädigte Bomber der Alliierten über seinem Dorf sich ihrer verbliebenen und hinderlichen Fracht entledigten – wie ihm später erklärt wurde, ohne dass er viel damit anzufangen wusste – und damit das Haus erbeben und die Kellerinsassen näher zusammen rücken liessen. War das der Krieg? Was war, war die Angst der Eltern und der übrigen Hausbewohner, doch die war zu ungreifbar wohl, als dass sie hätte 'richtig' zugeordnet werden können, zumindest liess sie sich an keiner zutreffenden Vorstellung festmachen und so machte er sich seine eigene eben am Keller fest, was dann tunlichst geboten erscheinen liess, diesen künftig zu meiden, wie auch an dem Geheul der Sirenen, die bei ihren häufigen Funktionstests durch alle Friedenszeiten hinweg durch ihr blosses Ertönen ihr ungehindert zum Ausbruch verhelfen konnten. Hingegen das junge Paar aus dem ersten Stock, das sich unter die Haustüre wagte, um den glühenden Himmel über Friedrichshafen zu sehen, das eben »bombardiert« worden sein sollte, verhohlen bewundert von denen im Keller und gleichwohl ob seiner Torheit gescholten, liess erahnen, dass es etwas trotzte, irgendwie verbunden mit dem Wort ›Krieg‹. – Während des nächsten Sonntagsspazierganges dann die Besichtigung der Krater am Dorfrand – "Gott sei Dank!" –, und einige stiegen hinunter und blickten hoch zu den Umstehenden, ob diese auch ja Mass nähmen an ihren Körperlängen, die Tiefe und die Gewalt der niedergegangenen Bomben zu schätzen, doch sein Interesse galt eher den vielen kleinen Karren, die versammelt worden waren zum Einsammeln der weggesprengten Steine und der Erde, die zuvor in dem nun klaffenden Loch gelegen haben mussten, den angerichteten Schaden wieder einzuebnen. Auch da, so mochte er geahnt haben, hatte die Angst, die hinter dem Respekt zollenden Gerede der Erwachsenen stecken musste, etwas mit »Krieg« zu tun. Doch was? Verborgen auch die Bedeutung, als der Vater eines Tages heim kam mit einer Fahne, aus rotem Tuch an schwarz- glänzend lackiertem Holz mit metallisch glitzernden Beschlägen daran und einem sonderbaren Zeichen auf der Stangenspitze, als er eben dieses sorgfältig absägte und den Stumpf sorgfältig glatt feilte, das Tuch verschwinden liess, nicht ohne eine gewisse Geheimnistuerei und vielleicht auf der Hut, nicht ertappt zu werden bei seinem Tun, auch den fragendstaunenden Kindern Still- schweigen gemahnte ob dem, was da in der Famlile vor sich ging – was mochte dahinter stecken? Und als dann die Mutter aus anderem rotem Tuch eine Fahne nähte, mit einem richtigen, blütenweissen Schweizerkreuz darauf, so dass diese künftig alljährlich am Ersten August, dem Schweizer National- feiertag, aus dem Fenster gehängt werden konnte, den Patriotismus feiernd, und niemand hätte auch nur eine Ahnung haben können, was für eine Geschichte diese Fahne mit sich trug, prüfte er fortan jedesmal wenn sie hervorgeholt mit besonderer Aufmerksamkeit die noch deutlich sichtbaren Feilenspuren an der Fahnen-spitze, wo einst dieses Zeichen abgesägt worden war, als ob er sich hätte vergewissern wollen, dass die erinnerte Geschichte sich auch wirklich zugetragen hatte, nicht etwa einer unglaub-haften Fantasie entsprungen war – auch da allenfalls Unver-standenes, Geheimnisvolles. Die Gewissheit irgendwann mal später dann, dass der rote Stoff ein stoffenes Hakenkreuz und die Fahnen-stangenspitze ein solches aus glänzendem Metall getragen hatten, zu Kriegsende repatriierten Wehrmachts-truppen an der Grenze zu Konstanz ab genommen worden – und so zu des kleinen Schweizerbürgers privater kleine Kriegsbeute geworden war. Aber auch diese Erfahrung der Teilhabe am Krieg brachte keine taugliche Antwort – ebensowenig der Tag, an dem im Dorf und überall in den umliegenden Dörfern die Glocken läuteten und er auf seine Frage danach zu hören bekam, das sei weil der Krieg zu Ende sei, es musste wohl der achte Mai gewesen sein. So war der Krieg dann einfach vorbei und rundum schien Erleichterung. Hinter dem mit Stacheldraht gekrönten Grenzzaun dann auch ein Lager mit ziemlich zerlumpten und eigenartig fremd anzusehenden Uniforierten, einige mit Verbänden, deren eingefallene Augen zu den vorüber gehenden, unversehrten Schweizern jenseits der offenbar so entscheidenden Grenze herüberflehten. Dass, und er durfte sich auch versuchen, Brot und Schokolade über den Zaun geworfen, dieses alsbald von den gereckten Armen gepackt und schnell verschwunden war, verbarg das wahre Gesicht dessen, was nicht zu fassen war, gesäumt in Wohltätigkeit und genäht mit den feinen Stichen der Zufriedenheit und des guten Gewissens – irgend ein Zufall hatte einen auf die bessere Seite des Lebens gesetzt, was aber seine Richtigkeit, soweit er verstehen konnte, so sicherlich auch haben mochte. Später auf dem Schulweg, ein kleiner Umweg genügte, damit er an der dörflichen Metzgerei vorbei führte und so Einsicht bot in deren Hinterhof, ergab es sich immer wieder, dass, besonders in der warmen Jahreszeit, die Tür zum Schlachthaus offen stand. Die Bilder, die sich aus seinem Innern dem Blick der Jugendlichen darboten, waren sowohl auf eine Art faszi- nierend, als auch gleicher- massen schrecklich, wenn zum Beispiel ein nervös quietschendes Schwein schon während dem dumpfen Knall zappelnd zu Boden stürzte, das folgende schrille Zucken der so eigenartig und unnatürlich verrenkten Glieder bald überging in ein ersterbendes Zittern, in das bereits das blitzende Messer des Schlächters drang, so das daliegende Bündel vollends zum Verstummen brachte und dann das ausfliessende Blut die unheimliche Stille rot unterstrich – eingeprägt und verstärkt durch die spätere Intervention der Eltern, den Kindern diese Anblicke doch zu ersparen, was dann die rauhen Schlachtergesellen auf ihre Art in die Tat umsetzten, indem sie mit noch blutigen und warmdampfenden Därmen nach ihnen warfen, sie zu vertreiben. Da mochte die Frage entstanden sein, starb denn ein Mensch anders als ein Schwein? – um alsbald zur unliebsamen Antwort zu kondensieren. War auch kein Krieg mehr, so blieb das Militär im Leben eines Schweizerkindes weiterhin gegenwärtig. Alljährlich rückte ein Haufen Soldaten ins Dorf, ihre Übungen während dreier Wochen abzuhalten, eine Attraktion besonderer Art: für die Schüler weil sie in der Turnhalle hausten und sowohl den Pausen- als auch den Turnplatz bevölkerten und für die Restaurant- und Laden- besitzer willkommenen Umsatz brachten. Die freundliche Verbindung zur Bevölkerung pflegte die Soldatenküche, vor der sich täglich Kinder aufstellten, um in mitge brachte Kesselchen Suppe zu bekommen, was, wie ihm erklärt wurde, für die Armen gedacht war, sie aber waren doch nicht arm, doch liessen es die Eltern geschehen, denn wer von seinen Kameraden durfte nicht auch hingehen! Er konnte auch feststellen, wie die weibliche Dorfbevölkerung angesichts uniformierter Männlichkeit in eigenartige Aufregung zu geraten schien, mit kaum verhohlener Bewunderung für die Soldaten, deren derben Sprüche die ›Mädchen‹ erschaudern liessen – den Herren Offiziere in ihrem feinen Tuch, wie in sich gekehrt das eigene Ansehen geniessend und dennoch heimlichaufmerksam prüfend, ob die Blicke ja auf sie gerichtet, war es jedoch vergönnt, diese weibliche Auf- regung noch zu steigern, wie es an den sich rötenden Wangen ihrer Bewunderinnen abzulesen gewesen sein mochte. Und immer wieder dieselben Rituale, die wie an einer Linie gezogene Soldaten erstarren liessen und die Marschübungen und alle Beine bewegten sich so gleichförmig, als ob es nicht deren viele wären, als ob überhaupt sich die vielen Soldaten aufzulösen begonnen und über- und eingegangen wären in einen einzigen grün-wogenden Körper, der auf den einen Laut hin erstarrte, durch einen andern wieder in Bewegung versetzt, zum knirschendem Schlagen der unzähligen gemeinsam den Boden tretenden nägelbestückten Schuhe, gleich dem Takt des Herzschlages eines einzigen mondströsen Ungetüms. Die Milizarmee, und mit ihr ein ganzes Volk, hatte begonnen die Lehren aus den Kriegsjahren umzusetzen, baute jenen gewaltigen Apparat aus, der aus jedem männlichen Schweizer auch einen Soldaten machte, zwar aufgebaut auf dem Mythos, eben die Schweiz gerettet zu haben, doch deshalb um so wirksamer wohl, und der verhiess nichts weniger, als dass eine Armee in einem Krieg das Überleben ermögliche. War das Militär nach drei Wochen dann wieder abgezogen, die Turnhalle und der Sportplatz wieder der Schule zur Verfügung, versuchten sich die Lehrer im Sportunterricht an ihren Schülern, die sich aufreihen mussten, erstarren, im Gleich- schritt marschieren und Richtungswechsel auf den Boden zirkeln, gymnastische Übungen in synchroner Gleichheit machen, die Freiübungen genannt wurden. Nicht dass die Kinder keinen Spass daran gehabt hätten, im Gegenteil, sie hatten ja Vorbilder in den Soldaten und so die Gelegenheit, denen nach-zueifern. Und diese Übungen setzten sich fast nahtlos fort in den Jugendgruppen der örtlichen Turnvereine, in denen die Gleichheit weitergetrieben wurde und jedes Dorf, das sich seiner nicht schämen wollte, hielt sich natürlich einen Turnverein, der, wie jeder andere Verein auch, hinter einer Fahne aus dem Dorf hinaus zu den verschiedenen Festen und nach dessen Beendigung wieder herein marschierte, nachdem dort im Verbund mit Gleichgesinnten die Gleichheit gepflegt und zelebriert worden war, zum Abschluss mit dem jeweiligen Höhepunkt des Festes, den 'Allgemeinen Übungen', den gemeinsamen Freiübungen aller exakt aufgereihten Teilnehmer, für die wochenlang geübt worden, dass ja keiner aus dem Takt falle. Doch das grösste aller möglichen Turnereignisse über- haupt waren die 'Allgemeinen Übungen' des Eidgenössischen Turnfestes, zu dem alle Turnvereine der ganzen Schweiz zusammengeströmt waren, und Tausende Weissgekleidete streckten sich gleichtaktig und krümmten gemeinsam die Buckel – und musterten so ein riesiges, viel bewundertes Feld, fast ›so weit das Auge reichte‹. In einem Land der strikten allgemeinen Wehrpflicht wird keiner, der der Armee dienlich erschien, entkommen sein, in eine Uniform gepasst zu werden und so war ihm denn auch mal feierlich und über eine ausgebreitete Schweizer fahne hinweg ein Gewehr überreicht worden, das fortan seines sein sollte – wer wäre da nicht von einem gewissen Stolz erfüllt, nach Wochen der Schinderei und Unterwerfung dieses Zeichen der Männlichkeit in den Händen zu halten, ein so todbringendes Werkzeug – und der Tod eines Gegners schien künftiglich nur darum nicht einzutreten, weil man entschieden hatte, ihn am Leben zu lassen. Dass auf dieses Gewehr gar noch eine Stichwaffe aufgepflanzt werden konnte, um die sich alsbald die wildesten Geschichten und Gerüchte rankten, vermochte dem Höhenflug der Allmacht- fantasien womöglich noch weitere Nahrung zu geben: rammte man dieses einem Feind in den Leib, liess sich momenthaft gar wähnen, unsterblich zu sein – denn wer einem andern den Tod bringt, ist ihm selber nicht unterworfen. Dass das Ganze aber ein Irrtum sein könnte, hätte sich z.B. denken lassen bei all den nie endenden Ritualen, vor allem auch dann, wenn z.B. ›hoher Besuch‹ angesagt war, ein General auf Inspektion kam, tagelang darauf hingefiebert, geschunden und geputzt wurde, geübt und geschrien und am besagten Tag tatsächlich eine Schnur übers Feld gespannt lag, der entlang jeder einzelne hingestellt, dass er sich auflöse und übergehe in eine einzige Linie, dort, wurde der Feldherr nach Stunden des Wartens und nochmals kontrolliert Werdens endlich angefahren, zu erstarren und bewegungslos zu stehen hatte, bis der goldbetresste Heerführer mit grimmig-musterndem Blick und inquisitorischem Gestus vorbei geschritten und wieder abgezogen war. Zumindest da hätte der Einzelne denken können, dass er nun selber zum schieren Kriegswerkzeug geworden war. Doch gab es natürlich Gratifikationen, deren ausgezeichnetste die war, ausgelesen zu werden, sich auf die Seite der Herren des Krieges ausbilden zu lassen – und wer konnte dem so leichthin widerstehen, wäre ihm doch des Vaters Stolz gewiss – und wer wollte entsagen all den Verlockungen der verheissenen Vorteile, denn im Berufsleben wurde mit Wohlgefallen eingestellt, wer es im Milität ›zu etwas gebracht hatte‹, und wer hatte noch die Möglichkeit zu wählen ob dem mittlerweile um sich gegriffenen gedanklichen Gleichschritt: Masse kennt weder Zweifel noch Ungewissheit, wie Sigmund Freud es einst formuliert – so wenig wie jede andere Maschine auch. Das sogenannte Kriegs- handwerk, was letztlich heissen mochte: das Töten, wurde so erlernt auf einem Feld, das kaum mit Krieg zu tun hatte, eher denn mit Männerrivalität und Männer- intimität, voller Bewunderung für die gefürchteten Vor- gesetzten, von denen ein milder Blick oder ein persönliches Wort zu erhaschen Labsal schien – die Grundausbildung [schweizerisch: Rekrutenschule] wurde als Schule der Nation gepriesen. Das andere Geschlecht – beim Einzelnen wenigstens Ursache von Zweifel und damit der Notwendigkeit zu denken – kam nur noch vor in Zoten und Witzen als Tauschmittel unter Brüdern und der unablässig beunruhigende Unterschied der Geschlechter war ersetzt worden durch Dienstgrade, durch die an aufgenähten Zeichen zählbare Hierarchie von Herren und Untergebenen, die es unablässig zu festigen und zu erhalten galt. Und damit schien auch der Tod eliminiert – zumindest war die Sterblichkeit ausgegliedert. Die Stimme des Vereinzelten wurde so immer leiser und leiser, bis sie zum Flüstern wurde, wie das Flüstern der Bedrohten im Keller beim dumpfen Gedröhn der Motoren und dem gell ätzenden Geheul der Sirenen, und sie drohte zu verstummen, und es war ihr auch zugedacht, zu verstummen. »Warum Krieg?« – diese Frage dürfte nicht aufhören sich zu stellen, denn wer den Krieg verstehen will, stellte sich auf seine Seite und machte sich zu seinem Werkzeug. Doch wohin sich stattdessen wenden? Es bliebe dorthin, wo Sterb- lichkeit ist, wo in der Finsternis der Gesichtslose unablässig wirkt und sich verweigert, dorthin, wo die Geliebte verloren, doch unlöschbar die schmerzliche Hoffnung glimmt, sie würde noch einmal antworten. Des Einen Stimme ist leise – und sie sucht ein Ohr, das vom Kriegsgeschrei nicht taub geworden. e.a. |