Das Durchlesen vieler Schriften zur Angst wirft Fragen auf:
Lacan ist mit seinem Konzept über die Angst nicht fertiggeworden, so wenig wie Freud. Sie scheinen immer wieder steckengeblieben zu sein in vorläufigen Antworten, die ein Weiterkommen verschliessen. Begrifflichkeiten setzen sich gerade dort ein, wo Begriffe nicht mehr fassen – beim Affekt, der zwar von der Sprache ›gerahmt‹ wird (Taillandier in diesem Heft), jedoch nicht von Sprache ist. Bernard BAAS (Bernard Baas, »Die Angst und die Wahrheit«, in: ders. Das reine Begehren, Turia+Kant, Wien, 1995, übers. von Gerhard Schmitz) zum Beispiel versucht, aus dieser Sackgasse zu entkommen, in dem er Freud / Lacan mit den Philosophen Kirkegaard / Heidegger zusammendenkt. Jedoch mündet auch er schlussendlich in einem Konzept, das als ein philosophisches zu bezeichnen ist, somit (nach Freud) Einsetzungen schafft, die verschliessen.
»Angst täuscht nicht«, sage Lacan, immer wieder verstanden als ›Angst lügt nicht‹, was bei Weitem nicht dasselbe ist – ja, wenigstens per Negation, weil Angst ein Affekt ist, somit nicht spricht, also nicht lügen kann. Sie verweist auf ›die Wahrheit‹ nur insofern, als sie auf etwas verweist – wenn und weil wir das so denken –, das sprachlich nicht existiert.
Das Objekt der Angst sei das Objekt a, insofern es vom Ding herstamme, das aber nicht signifizierbar sei. Da jedoch das Ding höchstens als temporärer Begriff taugt – er ist eingesetzt an einen Ort und für etwas, das schlicht keine Bezeichnung haben kann –, um operativ weiterzudenken, was sonst nicht gedacht werden könnte, müsste er wieder fallengelassen werden, sollte er nicht als ›Objekt‹ haften bleiben, verstellend. Baas fügt schlussendlich Lacan und Heidegger zusammen, mündend in den Satz »die Angst ist die Affektion, die die Wahrheit signiert«, eine Formel, die beide »gutheissen« könnten. Würde sie Freud unterschreiben?
Was tun, denn (einmal mehr) auf Freud selbst zurückzugreifen, auf seine Texte zur Angst, was gegebenermassen natürlich nicht mehr ohne den Einfluss der später entstandenen Schriften (eben Lacans usw.) möglich sein kann?
Freuds zentraler Text über die Angst (S. Freud, (1926d), G.W. XIV, Hemmung, Symptom und Angst) ist gezeichnet von Brüchen, Inkohärenzen, Sprüngen. Sein Text erhellt und bleibt dunkel. Er greift darin Thesen auf, um sie wieder zu verwerfen, er sucht das Objekt der Angst im Biologischen zu finden (oder wenigstens zwischen dem Psychischen und dem Biologischen), um gleich darauf wieder ins Psychische zurückzukehren. Sein Text bleibt seltsam unklar, was die Angst betrifft, es scheint oftmals, Freud habe mehr gewusst, als mitgeteilt.
Auffallend viele Textstellen verweisen auf Fragen, die an die Grenzen der Psychoanalyse stossen, gleichzeitig verwahrt er sich gegen eine Vereinnahmung durch die Philosophie, die er der Täuschung bezichtigt, um konsequent immer wieder zurückzukehren zu Fragestellungen der Psychoanalyse: Seine Beschäftigung mit der Angst führt ihn immer wieder zu den zentralsten Fragen seines Metiers. Freud umkreist in seinem Text die Konstituierung des Subjekts, genau so wie auch dessen Kastration, die er hier klar als dessen Endlichkeit darstellt. So schreibt er zum Beispiel: »Im Unbewussten ist aber nichts vorhanden, was unserem Begriff der Lebensvernichtung Inhalt geben kann. Die Kastration wird sozusagen vorstellbar durch die tägliche Erfahrung der Trennung vom Darminhalt und durch den bei der Entwöhnung erlebten Verlust der mütterlichen Brust; etwas dem Tod ähnliches ist aber nie erlebt worden oder hat wie die Ohnmacht keine nachweisbaren Spuren hinterlassen. Ich halte darum an der Vermutung fest, dass die Todesangst als Analogon der Kastrationsangst aufzufassen ist«. Das heisst doch wenigstens, dass Lebensvernichtung und Kastration (in Freuds Verständnis) Äquivalente sind, die zwar an der Trennung von einem Objekt bloss sozusagen vorstellbar werden können.
Wo Freud auf Ranks Konzept des Geburtstraumas eingeht, hebt er es gleich wieder auf, indem er es in einen Zusammenhang mit der Kastration setzt:
»Das erste Angsterlebnis des Menschen wenigstens ist die Geburt [...] könnte der Kastration der Mutter [...] verglichen werden«. Das heisst sicherlich nicht, wie vielfach interpretiert, das Kind habe Angst durch die Erfahrung, seine Mutter als kastriert erkannt zu haben. Sodann stellt er Angst in einen Zusammenhang mit der ›Konstituiertheit‹ des Subjekts (»Die Angst ist ein Affektzustand, der natürlich nur vom Ich verspürt werden kann. Das Es kann keine Angst haben wie das Ich, es ist keine Organisation«), die darauf angewiesen ist, dass sich Symptome haben bilden können, das Ich zu schützen und »Ersatz« zu bilden, und immer wieder stösst er zur Frage, »woher kommt die Neurose?«. Dabei ist wesentlich, dass die Angst nicht einer ›stabilen‹ psychischen Organisation zugehöre: »Der psychologische Faktor [der Angst] ist in einer Unvollkommenheit des seelischen Apparates zu finden«.
Wenn Freud aber bei seinem Versuch, die Angst zu erklären, spekulative Antworten dergestalt weit auseinandersetzt, öffnet er damit ein ›Dazwischen‹, das seinerseits sowohl weitere Fragen gebirt, als auch einen Ort der Angst angibt: die 'kommt' aus diesem 'Dazwischen', resp. dann, wenn dieses auf-, auseinanderklafft. Gibt er damit nicht ein Wissen preis, nämlich das, dass die Angst dann auftritt, wenn das (sein) Wissen zerfällt oder nicht mehr genügend greift, was hiesse, dass das Symptom sich auflöst oder wenigstens sich aufzulösen droht? Dass aber dann die Angst sich ein Objekt ›nimmt‹, einen Ersatz / Einsatz, das Symptom zu festigen oder ein neues zu bilden, das Ich, die Konstituierung des Subjekts zu schützen, durch eben diese Einsetzung eines Objekts?
Zur selben Zeit wie Hemmung, Symptom und Angst hat Freud die Schrift Die Verneinung (S. Freud, 1925h, in G.W. XIV) geschrieben und beide Texte sind fast gleichzeitig veröffentlicht worden. Dies muss insofern von Bedeutung sein, als in ihr die Herausbildung des ›unvollkommenen seelenischen Apparates‹ dargelegt wird, insbesonders, wenn ihre Interpretation von Hyppolite und Lacan miteinbezogen wird. In ihr wird dargelegt, wie sich das Subjekt konstituiert in zwei Schritten, dessen erster das ›Existenzurteil‹ betrifft (als Metapher: die Entdeckung, dass die Mutter keinen Penis hat, wird verdrängt – also hat sie doch einen), der zweite Schritt verweist auf das ›Attributionsurteil‹ (intellektuell wird das ursprünglich Verdrängte angenommen – »der Verdrängungsvorgang selbst ist damit noch nicht aufgehoben« [Freud]). Dazu – zur Kastration der Mutter – schreibt Freud aber auch in Hemmung, Symptom und Angst, aber indem er den Begriff der Kastration viel weiter fasst und die Penislosigkeit (oder die Geburt des Kindes) als Bild dafür einsetzt: »...die Kastration ist sozusagen vorstellbar...«, »...könnte verglichen werdenmit der Kastration...«.
Daraus könnte gefolgert werden, dass die Kastration sozusagen gleichzusetzen wäre mit der ›Unvollkommenheit des seelischen Apparates‹. Sie ist dann nicht mehr abzuwehren, wenn Angst auftaucht, resp. Angst taucht ›irgendwo‹ dann auf, wenn das Symptom ›seelischer Apparat‹ sich auflöst, oder zu zerfallen droht, flugs ein neues Symptom zu schaffen – gleichwohl aber in diesem ›Schwebezustand‹ zu verharren trachtet: Angst ist Erregung vor dem Eintreffen etwas Erwarteten – ist´s nicht egal ob befürchtet oder ersehnt?
Kleiner Exkurs: Verdrängung ist nichts einmal Geschehenes. Sie muss dauernd geleistet werden – mit entsprechendem ›Energieaufwand‹. Ist der zu klein oder ist die Erregung zu gross, droht das Verdrängte durchzubrechen. Und umgekehrt muss es eine ›Energie‹ geben, die dem Verdrängten zum Durchbruch verhelfen will – sei es eine Art 'Trägheit' des Subjekts, weitere Verdrängungsenergie bereitzustellen, sei es eine ›Faszination‹ am Verdrängten. Ist nicht eine Metapher dafür Freuds Vergleich, dass jedes organische Wesen zum Ziel hätte, in der anorganischen Zustand zurückzukehren (S. Freud (1920g, Jenseits des Lustprinzips, G.W. VI), was dann ein Ausdruck des Todestriebes wäre?
Das Objekt der Angst ist ein imaginäres, ersetzbar, austauschbar. Dieses Objekt ›bindet‹ das Imaginäre mit seiner 'Symptomwerdung' an das Reale und das Symbolische. Damit wirkt die Angst am Netz des zweiten Schrittes der Verneinung, wo dieses brüchig zu werden droht, an seinem Rand, am Rand der Sprache auch. Sozusagen vorstellbar einer Schichtung von Vorhängen: hinter jedem Vorhang verbirgt sich etwas – sicher jedoch nur, wenn er zugezogen bleibt. Denn: würde der letzte aufgezogen, zeigte sich womöglich, dass er nichts zu verbergen hatte. An diesen letzten – oder vermeintlich letzten – Vorhang krallt sich die Angst fest, gleichermassen ihn wegzuziehen, als auch ihn zu halten, das Subjekt dort zu erhalten.
Hinter der Angst, gleichsam verweisend auf den ersten Schritt der Verneinung, auf das Existenzurteil, erschiene die Trauer. Nicht die Trauer über ein verlorenes Objekt – die 'tiefe Trauer', die des Subjekts über sich selbst. Vielleicht ähnlich der des Melancholischen, der, nach seinem Befinden gefragt, abweisend antworten würde: "ich habe nichts" - wortwörtlich.
E.A.